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Aus den Magazinen des Landesarchivs (November 2016)

Leibniz als Hofhistoriograf der Welfen (1690) (NLA - Hannover - Celle Br. 104b Nr. 110)


Beim Aufstieg des Welfenhauses in die erste Reihe der europäischen Dynastien um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert spielte die Historiographie eine nicht unbedeutende Rolle. Allgemein wurden territoriale Gebietsansprüche und militärische Eroberungen im Zeitalter des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Frankreich aus der Geschichte heraus legitimiert.

Auch bei der Erwerbung des Herzogtums Sachsen-Lauenburg durch das Haus Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1689 wurde die historisch-genealogische Forschung bemüht. Der letzte askanische Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg war am 30. September 1689 ohne Hinterlassung eines männlichen Erben gestorben. Obwohl im Herzogtum die weibliche Erbfolge galt, machten nun verschiedene Herrscherhäuser, v. a. die Welfen, die brandenburg-preußischen Hohenzollern, die kursächsischen Wettiner und das askanische Fürstenhaus Anhalt Erbansprüche geltend.

Die welfischen Ansprüche reichten dabei besonders weit zurück, nämlich bis in die Tage Herzog Heinrichs des Löwen. Nach dem Sturz Heinrichs im Jahr 1180 hatte Kaiser Friedrich Barbarossa den Askaniern die sächsische Herzogswürde und einen Teil des Herzogtums verliehen. Ähnlich wie bei den Welfen wurde auch das Herrschaftsgebiet der Askanier durch verschiedene Erbteilungen zersplittert, aus denen u. a. im Jahr 1296 das Herzogtum Sachsen-Lauenburg hervorging, welches schließlich aus dem Kerngebiet um Lauenburg und Ratzeburg, dem gegenüber von Lüneburg auf der rechten Seite der Elbe gelegenen Amt Neuhaus und dem Land Hadeln an der Elbmündung bestehen sollte.

Hatten die Welfen mit der raschen militärischen Besetzung des Herzogtums nach dem Tod des Herzogs Julius Franz zunächst vollendete Tatsachen geschaffen, so galt es im Anschluss daran, die Rechtmäßigkeit des Vorgehens zu begründen.

Dabei wirkte auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) mit, der seit 1676 als Hofbibliothekar, dann auch als Hofhistoriograf im Dienst der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg stand. Unter den umfangreichen Aufzeichnungen des Universalgelehrten zur lauenburgischen Sukzessionsfrage fällt besonders eine „Punctation“ ins Auge, die er nach seiner Rückkehr von einer Italienreise im Juni 1690 verfasst hat. Darin übte er im Detail zwar vielfach Kritik an der nach seiner Meinung unsicheren Quellenbasis, auf welcher die offizielle Begründung der welfischen Besitzansprüche gegründet war, stimmte aber dem Grundtenor zu. Besondere Rücksicht war bei der Argumentation auf die Befindlichkeiten Kursachsens und Kurbrandenburgs zu nehmen, weshalb die Welfen ihre Besitzansprüche nicht aus dem alten sächsischen Herzogstitel, sondern aus dem Erwerb von Grundeigentum durch die kolonisatorischen Maßnahmen des Löwen im jenseits der Elbe gelegenen Slawengebiet herleiteten, wie dieser sich etwa in der Gründung der Stadt Lauenburg (= „Löwenburg“) manifestiert hätte.

Nicht mehr nachvollziehbar ist, inwiefern solche historiografische Legitimationsversuche der Politik des Ancien Régime das tatsächliche Geschehen beeinflusst haben. Immerhin aber haben die Welfen den Besitz Sachsen-Lauenburgs bis zur Neuordnung der europäischen Landkarte durch den Wiener Kongress (1814/15) behaupten können.


NLA HA Celle Br. 104b Nr. 110  
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